Gebauter Raum, Repräsentation und Rituale - Part 2

posted by WFischer on 2007/09/26 19:18

[ Gebauter Raum, Repräsentation und Rituale ]

ZUSAMMENFASSUNG DES IMPULSREFERATS VON

Cornelia Szabó-Knotik

(Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik)

Die Bedeutungen musikalischer Gestaltung von urbanen Räumen und Ritualen

»Anstelle einer Illustration« - das Fallbeispiel

Eine Veranstaltung der Deutschen Kunstgemeinschaft im Schloßhof Schönbrunn am 3. Juli 1926 steht für eine neue, massenkulturelle Form von Aufführungen alter Musik in Wien: Gespielt von einem Trompeterchor der Bundestheater unter der Leitung von Rudolf Pfersmann, ist die so genannte 1. Historische Fanfarenmusik des 16. - 18. Jahrhunderts ein Veranstaltungstyp, der ab nun regelmäßig fortgesetzt wird und die »Keimzelle« des öffentlichen Auftretens jenes ab 1931 so genannte Wiener Trompeterchores bildet, der im Rahmen von politischen Kundgebungen, Vereinsversammlungen, im Rundfunk, bei Universitätsfeiern etc. Stücke vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts aufführt, immer wieder auch bei Veranstaltungen mit deutschnationalem bzw. nationalsozialistischem Hintergrund. Etwa beim 1. Wiener Gautag am 10./11. Mai 1930 im Großen Konzerthaussaal, mehr noch aber auf öffentlichen Plätzen Wiens. Auch im Fall des Trompeterchores läßt sich die typische Entwicklungsgeschichte von privaten Initiativen über regelmäßige Auftritte ab 1925, zur Vereinsgründung 1931 feststellen, wobei der Höhepunkt an Wirksamkeit in Zeit nationalsozialistischer Herrschaft fällt, wo das Ensemble als Trompeterchor der Stadt Wien öffentliche Bedeutung hat. Teilweise sind die Aufführungen als in romantischer Tradition stehendes „Gesamtkunstwerk“ inszeniert.

Der Hauptakteur dieser Inszenierungen, Hans Heinz Scholtys begann seine Karriere als Eleve und ab 1924 als Mitglied des Wiener Staatsopernchores und war auch an der Gründung von dessen Konzertvereinigung 1927 beteiligt. Schon seit 1922 fungierte er in Nachfolge von Josef Reiter als Chormeister des Deutschen Volkslied-Vereins in Wien und hatte auch Verbindung mit dem musikwissenschaftlichen Seminar an der Universität Wien, wo er zunächst das Musikmaterial für eine (mit Rudolf v. Ficker verbundene) aufsehenerregende Aufführung „Gotischer“ also mittelalterlicher Musik zur Feier von Beethovens 100. Todestag 1927 einrichtete und in der Folge mit Leopold Nowak aufs engste koopierte. Mit ihm erarbeitete er die praktische Aufführung von dessen Dissertationsgegenstand, des sogenannten deutschen Gesellschaftslieds, wofür er Ende der 1920er Jahre ein eigenes Kammerensemble des Deutschen Volkslied-Vereins einrichtete, das ab 1932 fixer Bestandteil eines eigenen Veranstaltungstyps historistischer Aufführung, der sogenannten „Serenaden auf Kreuzenstein“ wurde. Historische Fanfaren und sogenanntes Gesellschaftslied werden als klingende Zeugnisse der als gegenwärtig vorbildlich betrachteten Zeit Maximilian I. angesehen. Ein Hauptakteur, Leopold Nowak beschreibt, wie er Scholtys im Musikwissenschaftlichen Institut seine Arbeit gezeigt und dann als erstes einen Vortrag in der RAVAG über »Musik zur Zeit Kaiser Maximilians« gehalten hat:

Und dann ging es darum irgendwie herauszukriegen, wo wir diese Musik sinngemäß musizieren können - na, und da ist dann Kreuzenstein daraus geworden. Und Kreuzenstein hat uns, um das gleich zu sagen, Probleme gegeben .

Und wir haben auch nicht historisch musiziert, sondern einfach nur musikalisch, weil es damals im Jahr 32 noch nicht so üblich gewesen ist, auf Originalinstrumenten zu musizieren. Denn die Originalinstrumente aus der Zeit Maximilians, die sind auf viel kleinere Räume beschränkt und das, was das Große, Weite war, das waren dann nur Trompeten und Posaunen, also das hätte uns garnichts genutzt, denn was wir dreichörig musiziert haben, das hätte ja eigentlich a-capella gehört, oder mit Instrumenten, der ganze Gallus zum Beispiel. Das war also irgendein Anachronismus, den ich aber musikalisch durchgehen habe lassen. Und da kam dann das Problem, das muß man auf alle Fälle sagen: die stehen auf dem Turm oben, auf der Loggia und im Kaschauer-Gang, und daß dieses sphärische Dreieck zusammenpaßt, das war das Problem, das der Scholtys blendend dirigiert hat, und auch dann nach ihm der Schemitsch, das war dann eingeübt, der Bican und die Bläser haben sich schon ausgekannt wie das geht, denn die Akustik, das können sie sich ja selber vorstellen, die Akustik von oben und die Akustik von unten, das mußte ja irgendwie zusammengehen. Aber dieses dreichörige war natürlich das Präsenzstückel sozusagen, denn da haben die Leute den Kopf gewendet und geschaut, von wo das überall herkommt. Und es ist immer tadellos gegangen, wir sind schön zusammen gekommen und so war z.B. das Tribum miraculis von Gallus, die drei Chören, die waren phantastisch im Klang.
Und so wurde, wie ich das einmal gesagt habe, wie beim Parsifal der Raum zur Zeit bzw. der Raum zum Klang. Und das ist etwas, das uns fasziniert hat, daß man das in der Burg machen kann, denn vorher sind alle Leute durch die Burg geschleust worden und da kam natürlich die Zeit Maximilians heraus. Denn der alte Graf, Hans Graf Wilczek, war ein Liebhaber der Epoche Maximilians, daher natürlich also auch meiner.

Bemerkenswert ist auch, dass der Hang zum Gesamtkunstwerk auch noch die Geräuschkulisse vereinnahmt:

Und etwas ist auch verschwunden, die Dohlen. Bei den ersten Serenaden waren die Dohlen ganz aufgeregt, da hat sie es noch gegeben, jetzt gibt es keine mehr. Jedenfalls bei dem, was ich zuletzt gehört habe, die sind mir abgegangen. Also auch das ist weg. Sie haben manchmal natürlich gestört mit ihrem Gekreisch, aber sie haben als akustische Kulisse sozusagen, mit dazu gehört.
Obwohl diese Inszenierung nicht im städtischen Raum spielt (da gab es aber in der Frühzeit auch Umzüge - ein erhaltenes Foto zeigt die Musiker auf Pferd mit einer Fantasie-Uniform - vor allem aber Turmblasen vom Rathaus, Auftritte am Heldenplatz etc.) ist sie exemplarisch für die Bedeutung der musikalischen Aktivitäten von Vereinen für die urbane Identität. Deren Hochblüte vollzieht sich parallel zu, im Zusammenhang mit den nationalen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts, wo die bürgerliche Repräsentation im Musikleben als kulturelle Praxis üblich und dasselbe professionalisiert wird (vom Verein zur Institution). Und sie wurzelt auch konkret in einem berühmten (ebenfalls mit Musik versehen gewesenen) Umzug, nämlich dem Kaiser-Huldigungs-Festzug von 1908 - und das sowohl inhaltlich, durch die Inszenierung von Maximilian I. (die Doppelhochzeit seiner Enkelkinder ) - als auch personell, im Ehrenpräsidenten Graf Hans Wilczek, dem Großvater der »Enkel-Darstellerinnen« (auch noch zwei Töchter und zwei Nichten wirkten mit ). Jener Graf Wilczek hatte auch die historistische Kunstruine Kreuzenstein erbauen lassen, deren Mythos begründet (mit Geschichten, die in seinen Lebenserinnerungen zu lesen sind und sich etwa dem Zeitzeugen Leopold Nowak tief eingegraben hatten) und auch die Serenaden gern beherbergt. Der Festzug wiederum war ebenfalls ohne Musik undenkbar und zusätzlich zu seiner musikalischen Begleitung gab es eine Huldigung der Gesangsvereine und eine Reihe musikalischer Veranstaltungen. Die historische Musik im Festzug wurde von prominenten Personen des Musikbetriebs bestimmt, u.a. dem Leiter des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde Eusebius Manyczewski, dem Kustos der Musiksammlung der Hofbibliothek Josef Mantuani, Hofkapellmeister Carl Michael Ziehrer, auch hier spielten reitende Fanfarenbläser eine Rolle, liegt also eine Vorstufe zum nachmaligen Trompeterchor begründet. Von der Vereinigung der Wiener Musiker wurden 250 Personen bereitgestellt, außerdem standen 24 Militärkapellen auf dem Festweg und weitere zwei spielten am Festplatz. Und die Nationalitäten-Züge waren Gelegenheit, mit entsprechender Folklore nicht nur ein farbiges Spektakel zu bieten, sondern gleichzeitig auch die nationale Identität zu demonstrieren.

Im Hinblick darauf noch abschließend ein paar Worte zur Interaktion von öffentlich betriebener Musik und Stadtbild:
Es sind vor allem und besonders Vereine, die das Festschreiben bzw. Unterlaufen nationaler Identifikation einschließlich der Praktiken der Heimatfindung ausdifferenzieren, und dies geschieht, indem Plätze und Orte im öffentlichen Raum definiert, Heroen installiert, Denkmäler errichtet, Rituale der Verehrung entwickelt und mythische Traditionen beschrieben werden. Gemeinschaften schließen sich zusammen und Ausgrenzung (national, sozial) wird gelebt, wobei die Identitätsstiftung durch Musik auch durch deren spezifische Faktur befördert werden soll.
Die Darstellung der musikalischen Aktivitäten, die im weitesten Sinn von Vereinen organisiert, beeinflußt oder durchgeführt wurden, betrifft gleichzeitig mit dem Feld der Politik auch jenes der Wirtschaft, denn Vereine entstehen als Teil der städtischen, industrialisierten Lebensform, sie sind für die Professionalisierung des Musiklebens relevant und als Institutionen populärer Kultur vor dem Auftauchen audiovisueller Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften!) zu begreifen, deren Aktivitäten eine der Wurzeln für die Entwicklung von Kulturindustrie in der Konsumgesellschaft von heute bildet.

Die architektonische Gestaltung des öffentlichen Raumes macht die »Qualität des Städtischen« sichtbar, ist Teil der Präsentation einer Stadt als »modern« und »fortschrittlich«, sie schreibt das kulturelle Gedächtnis einer Gemeinschaft fest und stiftet Identität. Im Rahmen der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts einsetzenden Stadterneuerung werden in den Städten der Habsburgermonarchie auch Orte kultureller Repräsentation errichtet, etwa Museen und Theater, deren Grundsteinlegung und Eröffnung Anlaß zu musikalischen Auftritten von Vereinen war. Aber auch die Vereine selbst dokumentieren ihren Stellenwert im öffentlichen Leben durch Errichtung eigener Vereinshäuser, die den Gipfelpunkt einer Integration in den öffentlichen Kulturbetrieb markieren, die - an den Aufführungsorten der von Vereinen gestalteten und organisierten Ereignisse abgelesen - von Parks, Plätzen, Gasthäusern und Brauereien ausgehend zu Hotels, zu eigenen Sälen in vorhandenen Gebäuden und schließlich zum eigenen Haus führt. Weitere Marksteine sind Denkmäler und Gedenktafeln, die zu bestimmten Jubiläen und Anlässen als Orte regelmäßiger Heldenverehrung in ritueller Form fungieren. Auch das weltliche Gegenstück zur Prozession, der unter allgemeiner öffentlicher Aufmerksamkeit abgehaltene Aufmarsch von Vereinen durch die Stadt, also der Umzug, gehört zur »Eroberung des öffentlichen Raumes«.

An diese historischen Bemerkungen wären Überlegungen zur gegenwärtigen Form dieser kulturellen Praxis anzuschließen, deren Ausgangspunkt die merkbare Einschreibung traditioneller, musealer Inhalte in den Stadtraum Wien mittels neuer Medien ist, wodurch die Aneignung von öffentlichem Raum als verhandelter Prozeß zwischen möglichst zahlreichen Gruppen von BewohnerInnen stark eingeschränkt wird.





Links:

Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik


Ankündigung des Diskussionsnachmittags

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