Kroatien | Croatia - Part 6

posted by PP on 2006/07/24 13:07

[ Kroatien | Croatia ]

Jahrelang war Goli Otok - eine Adriainsel, die zwischen 1949 und 1956 Arbeitslager für politische Gefangene war - in Jugoslawien tabu, erst in den siebziger Jahren wurde das Schweigen gebrochen. Heute machen sich die Erinnerung und die neue Freizügigkeit den Ort streitig. Dubravka Ugrešić schickte nun kürzlich in der NZZ einen entsprechend zwiespältigen "Feriengruß" von der "nackten Insel":

Hier geht es um Parallelwelten. Unsere reale und geistige Welt durchziehen dichte Netze von Parallelwelten. Ein jeder lebt sein kleines Leben, ein jeder trottet seinen Weg. Könnten wir uns auch nur für einen Augenblick Verbindungen zwischen diesen Parallelwelten vorstellen, gerieten wir in ein mentales Chaos. Deshalb greifen wir zu Metaphern, so schützen wir uns vor Albträumen.
In dem kleinen Hafenrestaurant erwarteten uns kühle Getränke und nicht ganz frische Makrelen. Nebenan befand sich ein Stand mit Souvenirs. Graue, Kartoffeln ähnliche Gipsfiguren gab es dort, die Häftlinge in gestreifter Kleidung und mit gefesselten Beinen darstellten. Ihre tief im Gips liegenden Augen waren gross und schwarz umrandet, sie sollten wohl das Leiden der Häftlinge ausdrücken. Es gab auch schön geschnitzte Holzprügel, die an Baseballschläger erinnerten und auf denen zu lesen war: "Gruss von Goli Otok". [...]
So hat das Leben, um in der Metapher zu bleiben, die "Künstler" der Pornofilme auf die Nackte Insel gelockt. Filme mit sadomasochistischen Themen profitieren in «künstlerischer» Hinsicht am meisten von der Szenerie der Insel: dem verlassenen Steinbruch, den düsteren Gefängniszellen, den überall herumliegenden rostigen Gerippen von Häftlingsbetten, den grauen, mit Graffiti verzierten steinernen Fassaden.
Die Menschen, die auf Goli Otok entweder starben oder die dortige Tortur überstanden, brauchen indes kein Denkmal. Sie haben es sich selbst errichtet, indem sie die Kiefern pflanzten. Hinter jedem Stamm steht der unsichtbare Schatten eines ehemaligen Häftlings, der den Baum vor der sengenden Sonne schützt und mit seinem unsichtbaren Schweiss den karstigen Boden tränkt. Die Grillen zirpen, die Schafe ziehen blökend über die Insel, manch ein Besucher schnitzt seinen Namen in die Rinde eines Baums, bevor er wieder fortfährt, allein die dunklen Kiefern von Goli Otok rühren sich nicht von der Stelle.

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Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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