Balkan | -s - Part 27

posted by PP on 2005/07/14 16:16

[ Balkan | -s ]

(Nachdem ich da so freundlich gekrault wurde, wäre natürlich die einzig angemessene Reaktion, die bisherigen Anstrengungen zu erhöhen, was etwas schwer fallen könnte, da es jetzt bwirklich um Atmosphärisches ginge.)

Der gestrige Vormittag, der ansatzweise schon reportiert wurde unnd als Thema "The Balkans in focus" hatte, ging den berühmt berüchtigten Konjicer "Walking (swimming, barbecuing) workshops" voraus, mit eine der spannendsten und wichtigsten Stationen im Verlauf dieser Konferenzwoche, die morgen schon an ihr Ende gelangen wird.
Konkret geht es dabei um Networking, Socializing auf anregendem wie angenehmem Niveau und der Möglichkeit, zum wiederholten Mal zu konstatieren, das Bosnien nun wirklich nicht das Land für Vegetarier, bestenfalls für die eingefleischten unter diesen, ist. Forelle als höchstes der Gefühle, ansonsten werden die Ziege und Schafe gegrillt. Spaziergänge durch die Hügel und über die Höhen um diese wunderbare Tallandschaft schließen sich an, (leere) Munitionskisten mit Aufschriften zwischen Latinica, Kyrillica und Arabisch finden sich zwanglos entlang des Weges gestapelt, Wasserfälle im Hinterland verlangen etwas gröbere Anstregungsintervalle und irgendwo gibt es gewiss einen beissverliebten Hofhund. Und so unspannend das auf den ersten Blick sein mag, gelingt es Dzemal Sokolovic damit doch jedes Jahr erneut, eine spezifische, dem Gespräch unnd Austausch höchst förderliche Atmosphäre zu schaffen, die in weiterer Folge die schönsten Ergebnisse zu zeitigen vermag. Vielleicht ist es ja ganz simpel: Man nehme eine Gruppe von knapp 100 WissenschafterInnen aus allen möglichen Ländern, bringe sie an einen eher entlegenen, dafür landschaftlich höchst reizvollen Ort, biete eher restringierte Menüoptionen (und ausreichend Sarajevsko pivo) an und zwinge sie förmlich dazu, sich entweder voll auf alles ein- oder es lieber gleich wieder sein zu lassen.

Abends dann mehrere Höhepunkte: Zuerst die Vorführung des Films Slijepa pravda, was sich wohl mit Justice unseen am ehesten übersetzen lässt. Der gut einstündige Streifen verhandelt die Arbeit des ICTY, die Probleme im Zshg. mit dieser enorm teuern Einrichtung, dass die Hinterbliebenen kaum sehen, wozu der Gerichtshof gut sein soll. Er zeigt Bilder von Amateurfilmen, die in den verschiedenen Lagern gedreht wurden, u.a. in Celebici in der Nähe von Konjic, führt die Grausamkeiten, das Unverstehbare des Krieges neben den problemlos als symbolisch konnotierbaren Akten vor, er zeigt v.a. eines: die Opfer.
Die anschließende Diskussion (hervorragend gedolmetscht von Azra Hromadzic), der sich Matias Hellmann (ICTY Bosnien), Aldin Arnautovic (einer der Filmmacher) und Esad Hajtal (einer der Überlebenden dieser Camps und Konzentrationslager; sich selbst als unabhängigen Intellektuellen bezeichnend) stellten, brachte die Emotionen. Ein Einwohner aus Konjic, der eigentlich nur wegen der Abwicklung der technischen Fragen da sein sollte, stand auf und verteidigte Konjic, zeigte dann einen 5-Minuten-Streifen, "Konjic 1995". Der Ort völlig zerstört, das besonders Erschreckende für mich (ohne genau sagen zu können weshalb): Im dritten Jahre der Teilnahme am Konjicer Seminar kenne ich jede der gezeigten Ecken und Straßen der Stadt. Dann gehen die Emotionen erneut hoch, die Leute wollen verstehen, was hier passiert ist, was mit ihnen passiert ist. Spannend darunter, neben so vielem anderen, die bewusst gesetzte Provokation (nehme zumindest stark an, dass es bewusst war), dass auf dem einen Filmausschnitt aus Celebici doch nur zu sehen war, dass ein Mann Liegestütze macht und irgendwas aus dem Off zugerufen wird (tatsächlich wurde er beschmipft und aufgefordert zu zeigen, auf welche Weise er mit seiner Frau Geschlechtsverkehr hat; die wurde auch gleich Opfer des Spotts). Hier geht es denn doch sehr stark auch um Fragen, wie sie Peter Handke zuletzt angeschnitten hat und die natürlich noch längst nicht, gerade auch von ihm nicht, beantwortbar sind.
Dann kam natürlich auch die Frage des Skorpion-Videos, das vor einigen Wochen überall zitiert wurde und private Videos von Erschießungen bei Srebrenica am 11. Juli 1995 oder in den Tagen danach zeigte, einer der multimedialen, televisuellen Schocks, so wurde berichtet, die Serbien jüngst erlebt hätte.

Irgendwie geht es dann in den Abend hinein ganz wesentlich um die Frage, wer sagen könne, dass er/sie von nicht gewusst hätte, nichts wissen hätten können. Die Vergleiche, Parallelen sind rasch gezogen, gerade auch weil in dem genannten Film der serbische Nationalisten-Schlager zitiert wurde, wonach Serbien groß sei, drei Kriege gefochten habe, erfolgreich natürlich.





heute Vormittag dann "unser" eigenes Panel, an dem letztlich Mizret Tursunovic (Nurturing democratic competence: Bosnian teenagers in Gothenburg), Aida Kozar (Freedom of expression and free access to information), Amália Kerekes (Cult, Minority and Intermedial Arrangements), Olivera Stajic (Weblogs, Free Opinion and Democracy) sowie der Berichterstatter (Media Practices and Community Building) teilnahmen. Spannend die (aufgrund der langen gestrigen Debatten und den daraus folgenden Verschiebungen notwendig gewordene) Übernahme des Vortrags von Mizret Tursunovic, der eigentlich seine PhD-Arbeit vorstellen wollte, aber gleich bereit war, seinen Beitrag auf die Frage der jugendlichen Diaspora, ihres Mediengebrauchs und der grundsätzlichen Frage nach Diaspora und Medien umzustellen. Aida Kozar ging v.a. auf populäre mediale Erscheinungen wie Turbo-Folk und Telenovelas ein, kehrte deren Bedeutung wie Funktionalisierung auf kluge Weise hervor. Amalia Kerekes näherte sich den medialen Verwicklungen wie Komplexitäten von der Literatur Ottó Tolnais und der Vojvodina her, um die Frage der monoethnischen Bestrebungen präzisest zu zerlegen. Olivera Stajic hielt den Vortrag auf Bosnisch, stellte die Weblogszenen und deren Aktivitäten am Westbalkan vor, kümmerte sich gleichermaßen um serbische, bosnische und kroatische Weblogs, zeigte Kommunikationskanäle auf. Peter Plener brachte Medientheorie und seine These, dass Societies und Communities die Bestrebungend es State- und Nation-Building schlichtweg unterlaufen.
Die anschließende Diskussion drehte sich leider weniger um Mizrets oder Amálias engagierte Vorträge, sondern vielmehr ging eine Debatte über Neue Medien und Weblogs los, wie ich sie schon länger nicht mehr erlebt hatte. Spannend dabei war v.a. (und auch das ein irgendwie altbekanntes Phänomen), dass diejenigen im Publikum, die in festen Jobverhältnissen sich befinden, sich eher zurücklehnend den Zu- wie Anmutungen, damit aber auch den Herausforderungen und Chancen der Neuen Medien eher nicht begeben wollen. Na, soll sein.

Zum Schluss rasch noch das Selbstzitat zur Einleitung des Panels:

This panel tries to discover transversal connections and clusters of media practices and to inquire the strained formations of smaller and greater publicities. Central efforts and private initiatives should not be understood as contrary processes, but have to be examined as to their complementary marks. The relevance of a bipolar, heterogenizing or homogenizing persepective of the media landscape shall be evaluated on the basis of historical, journalistic and media practice case studies.
The central questions of the panel are arranged according to the following main points: Which tendencies cut across the central and group specific media? What kind of code- and media-switching occurs with regard to the assertion of ritualistic status of actors in public? What spatial, lingual and technical conditions influence the clustering of segmented cultural and scientific media projects?



(Abschließender Hinweis: Aufgrund diverser Anzeichen ließe sich schließen, dass dies der letzte "Live-Blog" aus Konjic und für einige Tage wieder Pause ist; es wurden vorhin die neuesten Umstellungen und Zeitpläne mitgeteilt...)


Antworten

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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