Alltägliches, Verbotenes

posted by Elena Messner on 2008/01/11 15:05

In einem Vorwort zur Textsammlung "Verbotene Worte" gibt Tzveta Sofronieva einen Überblick zur Grundidee und Geschichte des Projekts, aus dem die auf Kakanien Revisited publizierten Essays, Gedichte und Kurzgeschichten bzw. Romanauszüge hervorgingen. Typischerweise erklärt sie in diesem Vorwort, dass Grundauslöser dieses Projektes Übersetzungsfragen zu einem ihrer Gedichte waren. Der Titel "Heimat" schien nicht mehr übersetzbar, publizierbar geworden zu sein. Ausgehend von Fragen des Verbots, der Unmöglichkeit des Übersetzens in andere Kulturräume entstand durch zahlreiche und langjährige Diskussionen ein Netzwerk literarischer und wissenschaftlicher Projekte, das sich mit dem Gedächtnis der Worte, der Erinnerung in der Sprache oder (sprachlichen) Tabus, mit in der Sprache transportierten (kulturellen) Stereotypen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten interkultureller Kommunikation und Literatur, sowie mit der Mehrsprachigkeit auseinandersetzt.
György Dalos wirft in seinem kurzen Essay "Das Wort als Schnee von gestern" die Frage nach der Archivfunktion vom politisch geprägten Sprachgebrauch auf und hinterfragt, inwiefern Worte als Träger von Ideologien und Weltanschauungen eben im "Archiv des Vergessens" verschwinden müssen. Egal ob es sich dabei um Alltagsworte, Namen mit symbolischer Bedeutung, Floskeln oder offizielle Termini handelt, Worte und ihre Bedeutungen markieren und betreffen, egal welche Sensationen und Welterschütterungen sie in ihren historischen Momenten auslösten, doch nur einen ganz bestimmten Zeitabschnitt. So geht ihre Bedeutung zwar nicht verloren, wird aber historisch.

 So egal uns dies angesichts des unerbitterlichen Fortgangs der Weltgeschichte erscheinen mag, kritisiert Dalos daran doch, dass uns die ungeahnte Fülle der Informationen daran hindert, sie wirklich zu verarbeiten, richtig zu gewichten oder einzuordnen.

An einer Überfülle, allerdings von dokumentarischer, historiografischer Literatur, reibt sich auch Georg Klein in seinem Essay "Für die baldigen Toten. Anmerkung zur Zukunft unserer Vergangenheit." Von der Dürftigkeit und Unzuverlässigkeit historischer Quellen ausgehend, betont er die Notwendigkeit der Übersetzung, und Interpretation dieser Quellen. Die Allgemeinplätze von Manipulierbarkeit und Fälschung zusammen mit der immer nur versuchten Konstruktion von Vergangenheitsmodellen, der nur bedingt möglichen authentischen Darstellbarkeit von Geschichte, formuliert er die Kritik an einer Literatur, die einem "herrschenden Vergangenheitskult besonders bigott zu dienen" scheint. Polemisch fordert er, diese boomenden Geschichtsdarstellungen getrost der Trivialliteratur oder einfach Fernsehen und Film zu überlassen. Über historische Namensgebung schreibt z.B. Winfried R. Garscha, während Sabine Scholl über verbotene Laute wie "Blut Heimat Mutter Jude Tschusch" nachdenkt. Diese kurze Auflistung zeigt bereits die Bandbreite der Texte, von denen noch lange nicht alle jedoch bald auf Kakanien in dieser digitalen Anthologie versammelt zu finden sein werden.

Es sollte vielleicht nicht verwundern, dass sich neben interessanten Überlegungen zu diesem explosiven Stoff auch viele Alltäglichkeiten bzw. oft Wiederholtes finden lässt. Gerade wenn die Sprache und ihre (historische) Bedeutung zum Thema werden, soll schließlich der Allgemeinplatz auf seine Allgemeingültigkeit hin untersucht werden. Ein häufiger Déjà-Lu-Effekt, der einen beim Lesen vieler dieser Texte beschleicht, hat wohl nicht zuletzt mit einem Boom der interkulturellen Literaturwissenschaft zu tun, sowie dem zunehmenden Wahrnehmen von Übersetzungsproblematiken, nicht nur bei literarischen Texten sondern auch allen "kulturellen Texturen". Die "Gemachtheit" aller sprachlicher Übereinkünfte, Konnotationen, Assoziationen sowie Tabus, aber auch jeder historischen Erzählung (oder der Historiografie allgemein) wird einem jedenfalls beim Lesen dieser Texte wiederholt vor Augen geführt, womit eine wichtige Intention des Projektes wohl erfüllt wäre.


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