Wissensorganisation fantastisch

posted by ush on 2007/12/02 11:05

Aus dem 5. Emergenzenworkshop wurde vor wenigen Tagen auch Roland Innerhofers Beitrag zur Fantastik bei Robert Musil und Franz Kafka gepostet. Die Definition von "Fantastik" entzieht sich ja nach wie vor einer sicheren Definition, den Musil'schen "Möglichkeitssinn" für eine Fantastik i.w.S. herzunehmen, hat jedoch berechtigte Tradition.

Fantastische Phänomene, wie bspw. der Doppelgänger, finden sich zuhauf in Musils Repräsentationswerk des MoE. Im Unterschied zu fantastischen Romanen i.e.S., wie bspw. den Elixieren des Teufels von E.T.A Hoffmann, bleibt die Verbindung zwischen den Doppelungen und Serienbildungen jedoch dem/der Leser/in überlassen, angelegt in der narrativen Anordnung. Die Doppelungen existieren für sich und zugleich nur in der  Zweifältigkeit, gerne als geschlechtliches Doppel von männlicher und weiblicher Figur, die aber gerade nicht ein Ganzes ergeben, sondern immer zweie bleiben.

Innerhofer wendet sich, wie sein Titel ankündigt, der Organisation von Wissen bei Kafka und Musil zu, namentlich dem Umkehrungsverhältnis von Belebt/Unbelebt in Kafkas Blumberg-Erzählung und der Basiskonstruktion eines Durchschnittsmenschen bei Musil, der weit "fantastischer" daherkommt als das obsolet gewordene Genie.

Innerhofer spürt er bei Kafka einem eigenwilligen motu animalium nach, das - ganz Aristotelisch - den freien Willen, eine Unmittelbarkeit trotz des Anscheins von Spontaneität und Willkürlichkeit nicht spüren lässt. Die instinkt- und von Anhänglichkeit gelenkte Kreisbeweung - vor/zurück, fort/da - eines Hundes geht über auf die scheinbar chaotischen Spring- und Hüpfbewegungen von Bällen und letztlich zeigt sie sich erneut in der Widerorgansation und im antiautoritären Spieltrieb von Blumbergs Praktikanten. Eine klare Reihe wird hier gebildet, die auf einem zeitgemäßen tertium comparationis basiert, naturwissenschaftlichen Versuchen.

Die Frage ist aus der Mode geraten, aber der Bedeutung von Spontaneität, ebendieses vertrackten motus animalium noch weiter nachzugehen, wäre m.E. lohnenswert und würde möglicherweise zu 'Maschinen' in Deleuz'schem Sinne führen. Oder zu einer tiefergehenden Revision des Begriffs Lebewesen. Das Hinwegtun von Geist und Seele, die durchaus bei Musil weiteroperieren und -geistern, ist m.E. durchaus revolutionär, der Interpretationsansatz durchweg überzeugend.

Die Wendung zu den chaotischen Bewegungen von Kollektiven, einem biologistisch-arithmetischen Ansatz der Erneuerung von 'Leben' über den Durchschnittsmenschen, dessen Singular mit bestimmtem Artikel bei Musil keine Fiktion bleibt, bestätigt in gewissem Sinne durch die enorme Reihung an einzelnen, ungeheuer exzentrischen Typen im Romanwerk von General Stumm v. Bordwehr über Diotima bis zu Graf Leinsdorf unentwegt die Unmöglichkeit von Durchschnitt. Hier widerspricht die narrative Linienführung der appellativen im Text, die immer wieder beweist, dass 'das Rennpferd' eben doch genial ist.

Im Gegensatz zu Innerhofer sehe ich hier, trotz der großflächigen Verteilung von Erneuerungskräften in einer Menge von Individuen und der Überantwortung gesellschaftlichen Handelns an sie, keine Absage an das Genie, sondern eher den Höhepunkt seines Kults. Das auszuführen würde jedoch hier den Weblograhmen sprengen und soll anderen Zeiten und Gelegenheiten vorbehalten bleiben.

 


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