Es ist halt ein G'fret

posted by Béla Rásky on 2008/07/12 19:17

[ Big Portier is Watching You ]

Weil es ja sonst im ungarischen Feuilleton immer so geistreiche Kommentare gibt, hat mich überrascht, dass folgender Umstand bis jetzt meines Wissens niemandem aufgefallen ist:

Als Abschluss der Gay-Pride-Parade am Samstag wurden die Teilnehmer des von gewalttätigen, rechtsradikalen Gegendemonstranten begleiteten Aufmarsches vom Heldenplatz in Sonderzügen der – während des Demonstrationszuges gesperrten – U-Bahn zum Deák tér transportiert, um sie für den Fall eines Abganges in Einzelgruppen vor Übergriffen zu schützen. "Hirszerzö" bezeichnet diese Aktion als eine geistreiche Idee der Budapester Polizei: Allein, wie erfolgreich sich damit letztlich die Faschisten zeigten, sieht niemand: die  Homosexuellen wieder in den Untergrund abgedrängt, die Neonazis oben, was wohl nicht Sinn der Demo ist...

Und dann zwei Kommentare in der heutigen Népszabadság zum 5. Juli 2008 – in einer deutschen Übersetzung – weiter unten:





Das hoch-hochgeworfene Ei Kentaurrede


von
Lajos Parti Nagy

Wie ist das eigentlich? Oben Mensch, unten Pferd? Oder umgekehrt? Vielleicht sogar comme-çi, comme-ça? Schwer ist es mit dem Menschen. Vielleicht ist es nur mit dem Sprechen schwerer (oder umgekehrt). In meiner Pubertät hatte mich eine Textstelle des peruanischen Dichters Cesar Vallejo tief beeindruckt, wonach der Mensch in Wirklichkeit nur ein Tier sei, aber wenn dieser dir sein Gesicht zukehre, Dich seine Traurigkeit zutiefst ins Mark treffe: Ich glaube zumindest, dass die Stelle so lautet, aber meine Hand würde ich dafür nicht zwischen Anführungszeichen legen.

Wissend, dass dieser Text meine Arbeit sein wird, versuche ich herauszufinden, ob mich wohl die Sonn- und Montagstraurigkeit nach dem Elend des Samstagspöbels tief ins Mark trifft. Aber sie und es tun es nicht. Ich habe vielmehr Angst vor dem mir so zugewandten Antlitz, vor dem am Feuer eines künstlich heraufbeschworenen, bezugslosen, ekstatisch auflodernden Exzesses. Vor der unversöhnlichen Dummheit.

Am Weg zur Arbeit versuche ich, mich zum Publizisten umzumodeln. Ich versuche die Scham, den Ekel, die Empörung in Sätze zu gießen, auch dann, wenn ich weiss, dass bis dieser Artikel erscheint, bereits Dutzende Kommentare zum 5. Juli geschrieben worden sein werden, bzw. darüber, was eigentlich zur Zeit und unter dem Vorwand der Schwulenparade in Budapest wieder einmal geschehen ist, darüber, wie der Sieg der Demokratie zu ihrer Schande gerät.

Es herrschen die Hundstage, in der nach dem großen ungarischen Dichter benannten Gasse werden die stillen Äste über meinem Kopf zurecht getrimmt, an der Seite des Korbwagens die wunderschöne Aufschrift: "Zweige, Laub, Mahd". Genannter Dichter endete zum ewigen Ruhm des Ungartums in einem Massengrab, "er springt noch auf", konnte man in der Schule lernen, wohl umsonst. Meine lynchfreundlichen Landsleute könnten dies ruhig auf ihre, neben den Nazifahnen flatternden national-radikalen Transparente schreiben, die Republik würde nicht einmal mit den Augenwinkeln zucken, ein Schelm, der Böses dabei denkt, geehrtes Gericht, es ist ja nicht verboten, seine Meinung kundzutun, dass irgendein allgemein verstandener Anderer noch aufspringt.

Ich betrachte die Fotos, den wackeren Gegendemonstranten, der mit Strandhut vor einer Tafel mit Aufschrift "Das Andere soll woandershin verschwinden!" posiert. Was würde er wohl sagen, wenn man ihn früge - seine kleine Tochter, seine Enkelin zum Beispiel - was es heisst eben nicht anders zu sein? Er würde sagen, dass der, der nicht-anders ist, dies ab ovo wisse, und die anderen, der genetische Abfall und Kehricht, sollen einfach verschwinden. Aber würde er darauf überhaupt antworten? Im Übrigen glaube ich aber, dass ihn sowieso niemand je gefragt hat. Wie auch die aufgehetzte rothaarige Frau nicht, die in der Reportage irgendeiner Fernsehanstalt als geübte Gegendemonstrantin der Sache sofort einen sozialen Anstrich geben konnte, dass es nämlich für die Buseranten natürlich Geld gebe, die Armen aber dafür verhungern könnten.

Mit diesem miesen und simplen Satz, so wie er da steht, kann man heute in Ungarn ganze Volksabstimmungen gewinnen.

Schon allein das ist ja wohl furchtbar, dass schwule und lesbische Menschen - und nicht nur diese - in einem europäischen Land, zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht wohlgelaunt aufmarschieren können, sondern eine mutige Tat demonstrieren müssen, ein Bekenntnis, eine Manifestation gegen ihre berechtigten Ängste. Im Normalfall würde ich mich wohl schämen, es festzuhalten: "Hut ab vor ihnen" - Aber hier und jetzt hätte ich wohl damit beginnen müssen. Damit, dass allen jenen meine Anerkennung gebührt, die einerseits sich der Lnychstimmung eines klar eingrenzbaren Mobs stellen, andererseits einem kopfschüttelnden, debilen Unverständnis einer nicht eingrenzbaren Kibitzermasse.

Letztere ist jene relative (edel gesagt: unreife, direkt gesagt: saudumme) Mehrheit, die - unabhängig von ihrer konkreten Parteipräferenz - im übrigen ein konkretes Schwuchtelprügeln, eine eche Molotowcocktailschmeisserei als eine äußerst extreme Fassung der Unordentlichkeit ihrerseits natürlich nicht, oder nicht sehr mag, bzw. sie nicht ausgesprochen gutheisst, aber dennoch lauthals ein "Aber nicht, dass..." postulieren wird: "Aber nicht, dass es dann für uns Ungarn zur Pflicht wird!" Sie ist voller Vorurteile, Aggressionen, erstickten und verdrängten Wünschen und kann mit diesen Dings, na, wie sagt man jetzt, "also den Schwuchteln", nichts anfangen.

Auch mit der eigenen Sexualität nicht, werfe ich ein. Einwerfend, weil das, was geschehen ist, nichts mit sexueller Orientierung zu tun hat, nichts mit den Schwulen, nichts mit freier Meinungsäußerung, allein mit dem uferlosen Hass der radikalen Rechten, mit dem Vandalismus, der Straftat, dem Pöbel - und mit jenen die straffrei damit spielen. Es hat mit unserer langsam verwahrlosenden, von sich selbst verlassenen Gesellschaft zu tun.

Auch wenn einige ungeschickte, in einen nach Erbrochenem stinkenden Pferch des Vandalismus getriebene Eierwerfer oder der eine oder andere Aufwiegler vor dem Richter enden werden, so kann man wohl schon jetzt verbriefen, dass die Betroffenen hinter strammen Reihen schwarzer Hemden, Schulter an Schulter die Verhandlungssäle der Republik Ungarn verlassen werden - zur höchsten Ehre der Demokratie. Die unabhängigen ungarischen Gerichte zeigen sich anfällig dafür, unter kluger Abwägung der geltenden Gesetze, das Stinkendeschwuchtelsaujudenzigeuner-Geschrei als eine etwas rauhe, aber im Prinzip unschädliche Lautfolge, den (im übrigen nach einem kommunistischen Außenminister benannten) Cocktail als ein jugendliches Sommergetränk, fliegende Pflastersteine als vom Himmel gefallene, ganz eigentümliche Gesteinsformationen zu betrachten. Hoch-hochgeworfene Steine, um mit dem Dichter zu sprechen. Als eine männlichere Art des einfachen Eies. Und auch sonst, weil doch das Anderssein provoziert.

Gericht ist nicht Gericht, Verhandlungssaal nicht Verhandlungssaal, ich möchte nicht verallgemeinern: Menschen, also Schicksale, Deformationen, Mentalitäten, Sinngebungen und Sachverständige, Apathien und Zorn, Unfähigkeit, eingefleischte Glaubenssätze und Fehlmeinungen urteilen über andere Menschen, Schicksale usw. Das Gericht ist natürlich unabhängig, aber von sich selbst kann niemand unabhängig sein, weder der Richter noch der Delinquent. Auch nicht der Verfasser dieser Zeilen, natürlich.

Im Hintergrund eines Bildes ist auf der Fassade des Museums der Bildenden Künste das Riesenplakat der Fotoausstellung "Seele und Körper" zu sehen, es deckt fast die halbe Fassade des Gebäudes ab. Vor einem Monat, anlässlich der Eröffnung, war es so schön, Ungar zu sein, zu sehen, was und wie viel UngarInnen zur Fotogeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts beigetragen haben. Und jetzt schäme ich mich dafür, dass es einer kleinen Gruppe meiner so mutigen, heterosexuellen (bzw. mit felsenharten Schwänzen ausgestatteten, ungarischen) Landsleute, diesem Machopöbel wieder gelungen ist, meine Heimat wieder einmal zur Spitzenmeldungen der europäischen Tagesschauen gemacht zu haben.

Natürlich könnte ich mich damit trösten, dass dies nun einmal so ist, wenn man zu einer Nation gehört - manchmal schämt man sich dafür, manchmal ist man stolz darauf. Dass es vielleicht normal ist, wenn dieses einfach Wort in der Republik Ungarn Sinn machen soll. Aber ohne Zweifel: Ich schäme mich immer mehr für dieses Land und bin immer seltener stolz auf das Land, worin ich lebe. In dem. Ich bin erzürnt, verbittert, sehe keine Hoffnung, dass der duckmäuserische. konzentrierte, stumme Hass - und der Pogromversuch letzten Samstag war nur die vergiftete Spitze dieser Stimmung - sich in nächster Zukunft auflösen, verschwinden könnte.

Eine Fiktion, zwar nicht mehr allzu weit: Ein Mitmensch kommt mir entgegen, weder sympathisch noch antipathisch, solid, gutes Gesicht, wie man so beiläufig sagt. Auf einmal bleibt er vor mir stehen, und verwandelt sich in den beschriebenen Gegendemonstranten, den sowohl die Friedfertigkeit als auch das von ihm her betrachtet Anderssein empört: Er beginnt, unter Berufung auf seine Rechte, zu brüllen. Eine verzerrte Fratze verdeckt sein Gesicht, er nimmt Stiefel und eine schwarze Uniform hervor, die - geschätztes Gericht - natürlich nur was Schnitt und Farbe betrifft eine Uniform ist. Danach nimmt er einen Molotowcocktail, Pflastersteine, Eier, Bierflaschen, eine rot-weiß gestreifte Fahne hervor und eine Tafel mit der Aufschrift "Nieder mit dem nieder!" oder "Hunnia ist keine Schwuchtel!". Dann noch eine Absperrung dazu, die er auf mich schleudert, sie dann durchbricht: Er beginnt mich zu treten, schlägt mich schließlich mit einer Handbewegung nieder.

Damit wache ich auf. Auch er wacht auf, und obwohl er anerkennt, was ihm sein Rechtsanwalt empfiehlt anzuerkennen, dass er nämlich seine Tat zutiefst bedauern solle, und dass es dann nicht einmal zu einer Geldstrafe kommen werde, so wolle er dennoch anmerken, dass der wirkliche Provokateur natürlich jener sei, der in ihm so schlimme Sachen auslösen könne - wie zum Beispiel solche, die ihn befähigen würden, Bewegungen zu vollziehen, die man auch so interpretieren könnte, dass diese ein Niederschlagen anderer Personen ermöglichen. Und auch dies sei wohl kein Zufall, dass mein Kopf gerade dort sei, wo er seine verfassungsmäßigen Rechte ausüben wolle. Und, das geschätzte Gericht möge verzeihen, aber das werde er nicht tolerieren, Hunnia gehöre im übrigen auch den Hunnen, tosender Applaus im Gerichtssaal, Hochrufe, und ich wünsche weitere schöne Gegendemonstrationen.

 
 
 
Shame, Pride, Democracy
von
János Kis

Die demokratische Presse führt den 5. Juli unter "Tag der Schande", als politische Huligans mit Eiern, Pflastersteinen und Molotowcocktails die Budapester Gay-Pride-Parade attackierten. Auch meiner Ansicht nach gibt es ausreichend Grund dazu, sich dafür zu schämen, dass die Republik Ungarn, ihre friedlich demonstrierenden BürgerInnen nicht vor der brutalen Gewalt beschützen konnte. Ich glaube aber, dass wir auch einigen Grund dazu haben, stolz zu sein.

Mehr als anderthalbtausend unserer MitbürgerInnen ließ sich nicht einschüchtern; anstelle aller ungarischen DemokratInnen stellten sich nämlich dieser Agression entgegen. "Die TeilnehmerInnen haben gezeigt, dass der Gay-Pride-Aufmarsch über die Rechte der schwulen, lesbischen und transsexuellen Menschen hinausweist, und es tatsächlich darum geht, in welchem Land wir leben wollen." - erklärte die "Stiftung Regenbogenmission", die den Aufmarsch organisierte - und ich kann dazu nur sagen: Wie wahr, so ist es.

Der Moment hätte auch ein katarthischer sein können.
Aber er wurde nicht zu einem.
 

Politische Reaktionen                    

Die Gewalt wurde von allen Parteien pflichtgemäß verurteilt. Über ihren eigenen Schatten konnten sie aber diesmal auch nicht springen. 

Die Rechte verlor kein Wort über die Opfer der Gewalt. Der im Namen des MDF auftretende Zoltán Hock machte die OrganisatorInnen des friedlichen Marsches zu Mitverantwortlichen der Gewalt: "Die OrganisatorInnen hätten sich die Abhaltung der Veranstaltung in Ungarn 2008 überlegen müssen." Dem Abgeordneten Hock zufolge hätten die Homosexuellen wohl besser getan, wenn sie nachgegeben hätten.

So einen Blödsinn enthält die lakonische Erklärung des Fraktionsführers der FIDESZ nicht. Tibor Navracsics stellte - über die Betonung der Verantwortung der Regierung hinaus - nur soviel fest, dass die "FIDESZ jede Form des Hasses und der Gewalt ablehnt." Allein am 5. Juli wurde nicht so allgemein Hass oder Gewalt produziert, sondern eine ganz bestimmte Gruppe attackiert, und nur deshalb, weil deren sexuelle Orientierung eine andere ist als die der Mehrheit. Darüber schwieg sich Navracsics aus, und sein Schweigen ist natürlich verräterisch

Nämlich dann, wann zu einem Zeitpunkt, wenn die Andrássy út vor dem "Stinkende-Schwuchlteln"-Gebrüll erfüllt ist, sich ein demokratischer Politiker keinen Satz über den Gleichheitsgrundsatz der BürgerInnen erlaubt und kein Wort über sein Mitgefühl mit den Opfern der Gewalt verliert.

Die Fraktionsführerin der Sozialisten hat dies getan. Aber bevor er noch zu einer Erklärung des polizeilichen Fiaskos ansetzte, knüpfte auch Ildikó Lévai dort an, wo ihre Partei noch vor diesem Tag gestanden war: "Heute gibt es noch wenige Fixpunkte gegen die Ausgrenzung und Stigmatisierung, solche juristischen Versuche sind nämlich entweder am Fehlen einer Zweidrittelmehrheit im Parlament oder an den Mauern des Verfassungsgerichts gescheitert." Demzufolge könne der Staat wegen der unzulänglichen rechtlichen Mitteln die Ausbreitung des neonazistischen Mülls und der auf der Straße überhand nehmenden Gewalt keinen Einhalt gebieten. Die Sicherung der gesetzlichen Ordnung erfordere eine Einschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit, die regelmäßig am Widerstand der parlamentarischen Opposition und des Verfassungsgerichtes scheitere.

In den Wochen vor dem 5. Juli hatten sozialistische PolitikerInnen und Intellektuelle unentwegt wiederholt, dass Demonstration, die an denselben Orten und gleichzeitig zur Schwulenparade angemeldeten Gegendemonstrationen verboten werden müssten, allein die gültigen Vorschriften machten dies nicht möglich, weil sie keinen diesbezüglichen Passus enthielten, dass man an ein- und demselben Ort nicht zwei Veranstaltungen abhalten könne.

Mein Artikel ist gegen diese Behauptung geschrieben.
 

Die rechtliche Lage: Mythos und Wirklichkeit

Ich werde scharf formulieren, weil die Lage prekär ist. Die Bestrebungen zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit beruhen auf mythischen Glaubensgrundsätzen und sind darüber hinaus auch noch schädlich. Schädlich in erster Linie deshalb, weil sie die verfassungsmässigen Rechte der BürgerInnen einschränken würden: im gegebenen Fall würde dies sie jenes Rechtes berauben, einer öffentlichen Demonstration eine entsprechende Antwort zu geben, gegen die man dann und dort auftreten muss, wann und wo sie stattfindet. Mit diesem Recht hat in der Geschichte der dritten Republik auch die Linke immer wieder gelebt; zuletzt am 11. April vor dem Kartenbüro in der Hollán Ernő utca. Ist es tatsächlich die Absicht der sozialistischen PolitikerInnen und Intellektuellen, freiwillig auf ihr Recht der Gegendemonstration zu verzichten? Und wenn dem so wäre: Glauben sie tatsächlich, dass sie auch anderen dieses Recht nehmen können?

Schädlich ist zweitens dieser die Freiheiten einschränkende Elan auch, weil er die Mittel zur Einschränkung der politischen Gewalt an Stellen sucht, wo diese nicht zu finden sind. Die politischen RandalierInnen leben nicht mit dem Recht der Versammlungsfreiheit. Sie stellen sich in der Regel außerhalb der Rechtsnormen , so auch außerhalb des Versammlungsrechts. Gegen sie kann man auch auf Grundlage der geltenden Rechtsbestimmungen vorgehen.

Das Versammlungsgesetz hält eindeutig fest, dass "im Rahmen der Ausübung des Versammlungsrechts friedliche Zusammenkünfte, Aufmärsche und Demonstrationen abgehalten werden dürfen" [§ 2 (1)]. Ausdrücklich hält es fest, dass "die Ausübung des Versammlungsrechtes keine Straftat oder einen Aufruf zu einer solchen verwirklichen darf, bzw. nicht mit der Verletzung der Rechte und Freiheiten anderer einhergehen darf" [§ 2 (3)]. Über die Versammlungen, die aller Voraussicht nach friedlich, rechtmäßig und die Rechte und Freiheiten anderer achten werden, hält das Gesetz fest, dass - auch wenn sie unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stünden - ihr Schutz nicht absolut sei: Sie können eingeschränkt werden, "wenn deren Abhaltung eine störungsfreie Arbeit der Volksvertretung oder der Gerichte schwerwiegend gefährdet, oder wenn der Verkehr auf einer anderen Route nicht gesichert werden kann" [§ 8 (1)].

Eine Anmeldung einer Kraftdemonstration, die zum Zwecke des Randalierens organisiert wird, kann und muss auf einer ganz anderen Grundlage abgewiesen werden. Wie das so oft zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtes Ende Mai festhält, sind "Straftaten, Rechtswidrigkeiten und bewaffnete Aufmärsche" nicht Teil des Begriffes einer friedlichen Versammlung. Ein Verhindern solcher Aktionen besteht nicht darin, die Ausübung eines Rechtes unter Berufung auf das öffentliche Interesse einzuschränken, sondern darin, jeder Form des Rechtsverstosses einen Riegel vorzuschieben. Das Versammlungsrecht äußert sich nicht, wie in diesem Fall vorzugehen ist, aber aus diesem Schweigen kann nicht abgeleitet werden, dass die Polizei ein sich anbahnende Straftat einfach zur Kenntnis nehmen muss und mit der Exekutivmacht auch noch den Ort dafür sichern muss. Vielmehr folgt daraus, dass in diesem Fall - da es sich um eine Handlung handelt, die nicht unter das Versammlungsrecht fällt - eben ein anderes Gesetz zur Anwendung kommen muss: Eben das Polizeigesetz und - das seit 2004 in Kraft befindliche - Gesetz über die Bestimmungen eines behördlichen Verwaltungsverfahren und der administrativen Dienstleistungen.

Letzteres hält fest, dass "die Behörde den Antrag ohne sachliche Prüfung, innert acht Tage ablehnt, wenn das Verfahren ... nicht im Wirkungsbereich der Behörde liegt bzw. sie dafür nicht zuständig ist und eine Weiterleitung des Antrages nicht möglich ist" [§ 30 (b)]. Die juristische Formulierung in einen alltäglichen Sprachgebrauch übertragen: Die Polizei muss Anträge ablehnen, die eine Versammlung anmelden, die sich zum Zwecke des Randalierens, des Zerschlagens friedlicher Demonstrationen anderer organisieren, besteht doch ihre Aufgabe darin, friedliche Demonstrationen zu registrieren und zu sichern.

Im Falle der gleichzeitig und an den selben Orten angemeldeten Demonstrationen gegen die Gay-Pride-Parade war wohl die Gefahr offenkundig, dass es zu Gewalttätigkeiten kommen wird: Die schwulen und lesbischen DemonstrantInnen waren schon im vorigen Jahr Attacken ausgesetzt gewesen, und zwar aus denselben politischen Kreisen, die auch diesmal die Gegendemonstrationen angemeldet hatten. Und diese Gefahr stand auch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Zielen der OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen. Es gab wohl Tausende Belege dafür, dass man sich auf ein "Schwulenschlägern" vorbereitete. Das Budapester Polizeihauptkommissariat hätte gute Gründe genug dafür gehabt, die Anmeldung abzulehnen.

 

Ferencváros gegen Újpest 

Stellen wir uns vor, was passieren würde wenn die Fans von Ferencváros und Újpest unter Berufung auf das Versammlungsgesetz ihre alljährliche Massenschlägerei auf der Andrássy út abhalten werden? Würde die Polizei eine solche Anmeldung wohl einfach zur Kenntnis nehmen? Würde sie die ganze Gegend abriegeln und die Abwicklung der Veranstaltung einfach sichern? Aber bitte: Sie würde den Antrag ablehnen und die OrganisatorInnen warnen, dass sie eine Straftat vorbereiten würden, die die Exekutive mit aller Kraft des Gesetzes verhindern und verfolgen werde.

Niemand soll behaupten, dass das Wesen der Auseinandersetzungen zwischen dem harten Kern der Anhänger von Ferencváros und Újpest die Ausübung der freien Meinungsäußerung sei. Dabei sind auch dort ausreichend politische Unflätigkeiten zu hören. Davon wird die Schlägerei aber noch lange nicht eine Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, sondern ist und bleibt eine Schlägerei. Was der Unterschied ist? Dass sich in diesem Fall wenigstens beide Seiten einander schlagen, und sich nicht eine wild kreischende Masse auf friedliche DemonstrantInnen stürzt.

Der demokratische Rechtsstaat hält nicht nur das Recht aller in Ehren, friedlich demonstrieren zu können, sondern schützt diese auch auch vor gewalttätigen Übergriffen. Das Gesetz schreibt aber nicht vor, dass die Polizei die friedlichen DemonstrantInnen mittels eines Sperrzaunes von aggressiven GegendemonstrantInnen absondern muss, sondern dass diese den Randalierern die Möglichkeit der öffentlichen Versammlung nimmt.

Das Gesetz erwartet von den Polizisten auch nicht, dass diese mit ihren Körpern die friedlichen DemonstrantInnen vor den Attacken jener schütze, die Eier, Steine und Molotowcocktails wirft, sondern dass die angreifende Masse umgehend aufgelöst wird. Diese Feststellung bezieht sich auf alle gewalttätigen Gruppierungen, seien sie im voraus organisiert worden oder spontan entstanden. Wie bereits erwähnt hält das so oft angeführte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes eindeutig fest: Die Versammlungsfreiheit schützt nicht die Menge, die sich zur Ausübung von Gewalt zusammengerottet hat, sondern die ohne Organisierung zusammengekommene friedliche Menge. Gegen die Gewalttätigen mit Zwangsmaßnahmen aufzutreten, ermächtige "die Polizei das Gesetz XXXIX. aus dem Jahr 2004 über die Polizei."

 

Die Verantwortung der Regierung

Aufgabe des Ministers für öffentliche Ordnung wäre es gewesen, die unter seiner Aufsicht stehende Polizei auf die juristischen Handlungsalternativen aufmerksam zu machen, und hätte das nicht ausgereicht, dem Landespolizeikommandanten (Polizeigesetz § 5 (19)] eine Weisung zu erteilen. Wegen der politischen Bedeutung der Sache hätte er wohl sicherlich auch rechtlich seinen Standpunkt eindeutig klarlegen müssen. Warum hat er dies aber nicht getan?

Über einen möglichen Grund ist schon gesprochen worden: Die Regierungspartei möchte sich immer wieder unter Berufung auf die Einschränkung der Freiheitsrechte aus der Affäre ziehen, anstelle jene gesetzlichen Mittel in Betracht zu ziehen, die von den Freiheitsrechten nicht betroffen sind und die im Falle rechtswidriger Handlungen bereits zur Verfügung stehen bzw. den ihr unterstellten Organen klare Anweisungen zu geben, wie diese gesetzlichen Mittel konkret angewendet werden könnten. Der andere Grund ist, so meine ich, in der Schwäche der Regierung zu suchen. Im Falle eines Verbotes der Gegendemonstrationen müsste sie die politische Verantwortung dafür übernehmen, und dazu ist die seit Herbst 2006 zunehmend verunsicherte Regierung offensichtlich nicht stark genug. Allein sie schläfert sich damit ein, dass nicht ihr Autoritätsverlust ihr die Hände binde, sondern die "uferlose" Versammlungsfreiheit. Die Unfähigkeit der Regierung verunsichert aber auch die ihr unterstellten Organe und kann damit eine Atmosphäre schaffen, in der es regelmäßig und immer wieder zu richterlichen Urteilen wirrster Motivationen kommen wird, was die Regierung wiederum nur weiter schwächen wird.

Aber für das unsichere und wirre Benehmen der Staatsorgane ist nicht allein die Regierung verantwortlich - auch die Opposition trifft eine Schuld. Aber die Hauptverantwortung liegt noch immer bei der Regierung; unabhängig davon, wer woran schuld trägt, allein die Regierung befindet sich in einer Lage, über die Exekutive zu verfügen und mit ihren Rechtsansichten auch die von ihr unabhängigen Gewalten zu einer entsprechenden Reaktion zu bewegen.
 
Deshalb ist es auch jetzt die Schlüsselfrage, ob es der Regierung gelingt, einen Ausweg aus der sich nach unten bewegenden Spirale zu finden. Wenn ja, dann sicher nicht mit der Einschränkung der Freiheitsrechte. Sie müsste die Verantwortung dafür übernehmen, den ihr Untergeordneten das Recht zu interpretieren und sie auch dazu anzuhalten, dieses auch striktest einzuhalten - auch dann, wenn es sich um die Anhaltung der politischen Gewalt handelt, aber auch dann, wenn es um die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen bei der Ausübung dessen geht. Wenn es aber um eine Präzisierung der juristischen Mittel zur Zurückdrängung der Gewalt geht, müsste sie diesbezügliche Gesetzesinitiativen starten, und nicht der Reihe nach Ideen fabrizieren, die der Einschränkung der Freiheitsrechte zum Ziel haben.













 

 

 

 


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A picture from the heydays of liberal Budapest - when a whole (though short) underground line could be built within two years. And M1, the famous "Földalatti", Budapest's yellow line, still works. I have never seen this image of the construction on Andrássy before, so be full of admiration - and I am not telling your where it is from...

The M1-line so is a memento to both: a liberal mayor (for what Budapest was capable of) and the Siemens company, who more than a hundred years ago was capable of producing faultless underground trams (not like today's Combino crap...)

Budapest has – together with St. Petersburg and Vienna – one of the largest tramway networks of the world. The tramway type "UV" – standing for "Új villamos - New tramway" and pictured above – was designed in the early forties and is still a symbol for Hungary's once high-tech railway-carriage industry. With the arrival of the new low-floor-trams in spring 2006 – built by Siemens in Vienna and not too beautiful – this landmark of Budapest will vanish from the cityscape.
György Petri: Imre Nagy

Du warst unpersönlich wie die anderen bebrillten Führer
im Sakko, deine Stimme war nicht metallen,
denn du wußtest nicht, was du eigentlich sagen solltest,
so unvermittelt den vielen Versammelten. Gerade das Plötzliche
war ungewohnt für dich. Du alter Mann mit dem Zwicker,
ich hörte dich, ich war enttäuscht.
Ich wußte noch nichts

vom Betonhof, wo der Staatsanwalt
das Urteil gewiß heruntergeleiert hat,
ich wußte noch nichts von der groben Reibung des Stricks, von der letzten Schmach.

Wer will sagen, was sagbar gewesen wäre
von jenem Balkon aus, Möglichkeiten, unter Maschinengewehren
verfeuert, kehren nicht zurück. Gefängnis und Tod
wetzen die Schärfe des Augenblicks nicht aus,

wenn der eine Scharte bekommen hat. Aber wir dürfen uns erinnern
an den zögernden, verletzten, unentschlossenen Mann,
der gerade seinen Platz zu finden schien,

als wir davon aufwachten,
daß man unsere Stadt zerschoß.

Übersetzt von Hans-Henning Paetzke

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