Titel

Den Orient deutsch machen. Imperiale Diskurse des Kaiserreiches über das Osmanische Reich

Autoren

Malte Fuhrmann,  Berlin

Dieser Aufsatz analysiert - ausgehend von den neueren kulturwissenschaftlichen Ansätzen zu Nationalismus und Orientalismus - die in Memoiren, Reiseberichten und Reiseführern sich widerspiegelnden Legitimierungsstrategien des deutschen Versuches, das Osmanische Reich zwischen 1890 und 1914 politisch, militärisch und wirtschaftlich abhängig zu machen. Die Befürworter der deutschen Politik der 'pénétration pacifique' gegenüber der Region, mit der Deutschland bisher nur marginalen wirtschaftlichen und geistigen Austausch unterhalten hatte, benutzten eine Reihe untereinander widersprüchlicher legitimatorischer Bilder.

Diese Autoren sahen Deutschland als Teil einer 'imagined community' des 'Westens', der dem 'Osten' Aufklärung und Fortschritt bringen sollte, glaubten das Reich aber hierfür mehr geeignet als irgendein anderes Land auf Grund seiner angeblichen Überlegenheit auf den Gebieten der Bildung und der Technik. Die herausragende Rolle, die die griechische Antike in ihrer Schulbildung eingenommen hatte, ließ diese Deutschen sich selbst - und nicht die Bevölkerung des Balkans und Kleinasiens - als wahre Erben des alten Hellas sehen. Ihre Handlungen und Fantasien lassen das Verlangen erkennen, eine Symbiose zwischen deutscher und hellenischer oder orientalischer Kultur zu erschaffen.

Die radikalsten Anhänger des deutschen Expansionismus sahen die deutschen Ingenieure in der Türkei als Nachfolger der Kreuzritter Friedrich Barbarossas, gekommen, um das Land zu erobern, das 700 Jahre in einem 'Dornröschenschlaf' auf sie gewartet hatte. Hierbei benutzten sie sexuell aufgeladene Bilder, die auch typisch für die Kolonialromane des frühen 19. Jahrhunderts sind.

Ein weiteres dominantes Bild, das in diesem Versuch geistiger Aneignung häufig vorkommt, ist 'Heimat'. Orte zu finden, die sie an Daheim erinnerten, war eine Besessenheit der deutschen Bewohner und Besucher des Osmanischen Reiches. Wegen der konservativen, romantischen Rolle, die der Heimatbegriff im deutschen Nationalmythos einnimmt, fühlten sie sich meist in der Natur oder in unterentwickelten Kleinstädten 'zu Hause'. Die modernen multiethnischen Hafenstädte, in denen andere europäische Länder starken Einfluss hatten, blieben ihnen fremd, außer beim Genuss importierten bayrischen Bieres.

Die Texte dieser Autoren sind typisch für den imperialen deutschen Nationalismus, der wegen seiner Unsicherheit über das Verhältnis zu seinen westlichen Nachbarn Großbritannien und Frankreich zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn schwankt.

Drawing on recently established methods of research on intellectual nationalism and orientalism, this paper analyzes strategies legitimizing the German attempt to gain political, military, and economic control within the Ottoman Empire between 1890 and 1918, as reflected in memoirs, travelogues, and travel guide books. The partisans of the Reich's policy of 'pénétration pacifique' towards this region, with which Germany had hitherto enjoyed little economic or intellectual exchange, drew on a number of often mutually contradictory discourses.

Identifying themselves with an imagined community of the 'West' destined to bring enlightenment and progress to the 'East', these writers believed Germany to be more suited for this mission than any other country on account of its supposedly higher degree of enlightenment and technological superiority. The strong emphasis on Greek antiquity which they had experienced in their school education led these Germans to view themselves, rather than the natives of the Balkans and Asia Minor, as the true heirs of ancient Hellas. Their actions and fantasies reveal a desire to create a symbiosis of German and Hellenistic or Oriental culture.

The most radical partisans of German expansionism saw the German engineers in Turkey as the heirs of King Friedrich Barbarossa's crusaders, come to conquer the land which had waited for them in a 'Sleeping Beauty' state for 700 years. Their writing also employed images common in German colonial novels of the early 19th century.

One of the dominant images used in this endeavor of intellectual appropriation is that of 'Heimat'. Finding places that reminded them of home obsessed German residents of or visitors to the Ottoman Empire. Because of the conservative, romantic role which 'Heimat' plays in German national mythology, they usually discovered 'home' in nature or in underdeveloped country towns. The modern, multi-ethnic port cities, under the obvious influence of other European countries, did not make them feel at home, except when consuming imported Bavarian beer.

The publications of these writers are typical of imperial German nationalism, which, unsure of its position in relation to its Western neighbors Great Britain and France, oscillated between inferiority complex and megalomania.

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