Titel

Who is a Serb? Internal Definitions and External Designations

Autoren

Milan V. Dimić,  Edmonton, Taipei

Eine Durchsicht aktueller Wörterbücher und Enzyklopädien bringt Unsicherheiten, Unterschiede, Falsches und Widersprüchliches bei der Definition der Ausdrücke "Serbe/in" und "serbisch" zutage. Die historische Untersuchung von Texten in serbischer Sprache sowie von außerhalb zeigt wiederum, dass es sowohl einige gleich bleibende als auch viele veränderliche Bestimmungen gibt. Die Übersicht über die serbische Geschichte deutet auf zahlreiche Migrationen und Veränderungen des nationalen Gebietes und der Souveränität: Weder in einem serbischen Staat noch im Zusammmennehmen des staatlichen Territoriums und aller bestehender Siedlungen hat es zu irgendeinem Zeitpunkt ethnische Homogenität gegeben.

Zusätzlich zu typologischen Ähnlichkeiten in Identitätsfragen der meisten Nationen weist der serbische Fall, wie auch der einiger anderer Nationen auf dem Balkan, einige Besonderheiten auf, die v.a. aus der früheren mittelalterlichen Staatsform, dessen Verschwinden unter der Fremdherrschaft und der späteren Versuchung, den neuen Staat als eine Wiedererrichtung, Fortsetzung und Erfüllung des Vorgängers anzusehen, herkommen.

Probleme des modernen Nationalstaates werden gewöhnlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert und den beiden damals hauptsächlich angewandten ideologischen Lösungen verortet: der Jakobinischen Gleichsetzung von Nationalität mit der Bürgerschaft, d.h. dass man einem gemeinsamen Staat angehört und unter einem gemeinsamen Recht und Verwaltung steht, sowie der Herder-Fichte'schen oder i.A. romantischen Lösung, nach der sich Gemeinschaften auf einer gemeinsamen Ahnenreihe (Blut), einer gemeinsamen Sprache, Kultur, Sitten, bevorzugterweise einer gemeinsamen Religion und einem stabilen, überkommenen Territorium begründen. Der serbische Staat des 19. und 20. Jahrhunderts, ob er nun völlig souverän war oder nicht, versuchte in seinen aufeinanderfolgenden Verfassungen, vorherrschenden Ideologien, politischen Diskursen und Erziehungsprogrammen, diese beiden grundlegenden Herangehensweisen an Nationalität miteinander in Einklang zu bringen und sie an die veränderlichen regionalen Gegebenheiten die Gesellschaft, Demografie und Geografie anzupassen.

Nichtsdestoweniger wurden die Gegebenheiten durch die Existenz eines serbischen Staates im Hochmittelalter und im späten Mittelalter und den gleichzeitigen ausgeprägten Sinn für Serbentum kompliziert, obgleich dies nicht einzigartig war. Auch die Grenzen dieses Staates unterlagen starken Verschiebungen und ebenso seine Einwohner. Auch wenn sie nicht derselben Nationalität oder Religion angehörten oder in fremden Ländern unter fremder Herrschaft und häufig einer anderen christlichen Konfession zugehörig lebten, beanspruchten sie dennoch für sich, Serben zu sein und wurden auch von den anderen als solche bezeichnet. Bereits zu dieser Zeit erprobten die serbischen Herrscher in ihren Gesetzen und Erlässen, sowie die Kirche und weitere Produzenten des offiziellen und halboffiziellen Diskurses, eine breite Palette an Lösungsmöglichkeiten, um die Frage, wer legitimerweise ein Serbe/eine Serbin ist und wie die Beziehung dieser Person zu Staat und Krone aussehen sollte, zu klären. Solche Bestimmungen, die gerade die Vorstellung eines Volkes von einer gemeinsamen Abstammung, einer gemeinsamen Sprache,als Angehörige desselben Staates und Herrschers und derselben griechisch- (später serbisch-)orthodoxen Kirche usw. wurden damals bevorzugt. Diese Kriterien wurden zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Kombinationen eingesetzt.

Insofern waren die modernen Verfassungen und rechtlichen Bestimmungen Serbiens, ebenso wie politische und literarische Debatten des 19. und 20. Jahrhunderts, auch von diesen Lösungsversuchen des Mittelalters und nicht nur von westeuropäischen Modellen aus dem späten 18. und dem 19. Jahrhundert beeinflusst. Die Nostalgie für den Ruhm der Nemanjic führte zu anachronistischen Versuchen, die gegenwärtigen Probleme im Geist der Vergangenheit zu lösen. Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten wurde zusätzlich dadurch kompliziert, dass einige von ihnen, v.a. Kroatien und Bulgarien, eine ähnliche Geschichte mittelalterlicher Souveränität aufwiesen und gleichfalls Jahrhunderte unter Fremdherrschaft zugebracht hatten und nun ebenso die Zukunft nach den Vorgaben der Vergangenheit zu formen versuchten. Ganz allgemein herrschte auf dem Balkan, insbesondere unlängst im früheren Jugoslawien, eine verderbliche dialektische Wechselseitigkeit der nationalistischen und chauvinistischen Diskurse. Explosive Behauptungen, die häufig spekulative und nicht beweisbare historische Vermutungen darstellen, zu vermeiden und letzlich eine gemeinsame historische Vision auszuarbeiten, bleiben die unausweichlichen Vorbedingungen für jegliche dauerhafte und vorteilhafte Festigung der gegenseitigen Beziehungen.

Die Sicht auf nationale Identität als ein sich entwickelnder historischer Prozess eröffnet die Möglichkeit, solche Vorstellungen positiv wiederzubewerten, Mythen und Haltungen zu verewigen, die den Menschen schlecht gedient haben, zukünftig entschieden zu vermeiden und sie stattdessen mit gewinnbringenderen Idealen zu ersetzen.

A perusal of current dictionaries and encyclopaedias shows hesitations, differences, inconsistencies, and inaccuracies in the definition of such terms as "Serb" and "Serbian". A historical study of documents from within that language and from the outside, demonstrates both certain persistent traits and many fluctuations. In addition, an overview of Serbian history indicates persistent migrations, alterations in national territory and statehood: at no time has there been an ethnic homogeneity in neither a Serbian state, nor the coincidence of that state’s territory with all Serbian settlements.

In addition to typological resemblances with identity questions concerning most other nations, the Serbian case, as that of some other nations in the Balkans, shows particularities that are mainly the consequence of the previous existence of a mediaeval state, its disappearance under foreign rule, and the later temptation to perceive the new state as a resurrection, continuation, and fulfillment of its predecessor.

Questions pertaining to modern nation states have been usually traced to the second half of the 18th and the 19th century and to the two main ideological solutions proposed at the time: the Jacobinic identification of nationality with citizenship, i.e. the belonging to the same state and being under one judicial and administrative authority, and the Herder-Fichte, and romantic in general, theories of communities based on common ancestry (blood), language, culture, customs, and, preferably, one religion and a stable ancestral territory. The 19th and 20th century Serbian state, fully sovereign or not, attempted in its successive constitutions, dominant ideologies, political discourses and educational policies to reconcile these two basic attitudes towards nationality among themselves and to adapt them to the changing local facts of society, demography, and geography.

Nevertheless, matters were made more particular – albeit not unique – by the existence of a Serbian state in the High and late Middle Ages. While having many elements of a nation state, including a strong sense of being Serbian, this state also had radically changing frontiers and inhabitants who did not belong to the same religion or nationality; also many people living in foreign countries, under other rulers and often belonging to another Christian persuasion, still claimed to be Serbs and were designated so by others. The Serbian rulers in their edicts and laws, as well as the church and other producers of the official and semi-official discourse already at that time attempted a broad range of solutions to the question of who is, legitimately, a Serb and what that person's relationship to the state and crown should be. Definitions were used that privileged respectively the idea of people of the same ancestry, the same language, subjects of the same ruler and state, belonging to the same Greek (later Serbian) Orthodox church, etc. These criteria were used at various times in various combinations.

Therefore, modern constitutions of Serbia and other legal measures, as well as political and literary debates during the 19th and 20th centuries were influenced by these mediaeval attempts at solutions and not only by West European models of the late 18th and the 19th centuries. The nostalgia for the Nemanjić glory lead to anachronistic attempts to resolve problems of the present in the spirit of the past. Relations with neighboring states were further complicated by the fact that some among them, notably the Croatian and Bulgarian, had a similar history of mediaeval sovereignty, centuries of foreign rule, and present temptations to shape the future in the light of the past. In general, in the Balkans, most recently in the previous Yugoslavia, there has been a nefarious dialectic mutual relationship of the nationalist and chauvinist discourses. The avoidance of mutually inflammatory statements, frequently about speculative and improvable historical conjectures, and ultimately the elaboration of a common historical vision remain the inescapable preconditions for any durable and favourable settlement of relations.

The perception of national identity as an evolving historical process opens the possibility for positive revisions of such ideas, for a deliberate striving to avoid perpetrating myths and attitudes that have not served the people well, and to substitute them with ideals that are more propitious.

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